Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation
Für gewöhnlich weiß der Körper dank bestimmter Rezeptoren in Gelenken, Sehnen sowie Muskeln ganz genau, welche Bewegung es gerade ausführt oder in welcher Position er sich befindet. Diese Rezeptoren geben die Informationen über Rückenmark und Nervenbahnen an das Gehirn weiter. Ist dieses System nicht mehr intakt, können Bewegungen eingeschränkt sein. Hier setzt die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation an.
Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation im Überblick
Inhaltsverzeichnis
Definition
Die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF) ist eine Behandlungsmethode in der Physiotherapie, welche auf dem Zusammenspiel zwischen Muskeln und Nerven aufbaut. Hierbei geht es um die Verbesserung der neuromuskulären Koordination und die Stimulierung von Propriorezeptoren, welche für die Wahrnehmung der Körperlage und Körperbewegung im Raum zuständig sind.
Geschichte
Die Entwicklung der Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation geht auf die Physiotherapeutin Margaret Knott und den Neurophysiologen Herman Kabat zurück. Aufgestellt wurde dieses Konzept dabei in Kalifornien zwischen 1946 und 1951. Im Jahr 1953 stieß auch die Buchautorin Dorothy Voss hinzu. Die theoretischen Grundlagen in der Entwicklungsphase der PNF bauten zum einen auf den neurophysiologischen Arbeiten, welche es bis dahin gab und zum anderen auf der Beobachtung des diagonalen Bewegungsverhaltens bei Sportlern auf. Besonders großes Interesse richtete sich etwa auf die Arbeiten des Neurophysiologen Sherrington, auf welchen einige Behandlungstechniken beruhen. Zu Beginn wurden mit PNF überwiegend neurologische Patienten mit Encephalomyelitis disseminata oder Poliomyelitis behandelt. Angewandt wurde PNF vor allem bei Patienten mit Querschnittslähmung und Multipler Sklerose. Schließlich wurde das Konzept im Laufe der Zeit angesichts der guten Erfolge in dieser Patientengruppe auf sämtliche Altersstufen und Bereiche ausgeweitet, in denen das physiologische Bewegungsverhalten gestört ist.
Ziele
Das Hauptziel ist die Ökonomisierung und Optimierung des Bewegungsverhaltens. Ein pathologisch veränderter Bewegungsablauf soll wieder zu einem physiologischen umgewandelt werden. Hierbei wird der Umstand genutzt, dass sämtliche Gesamtbewegungsmuster und alle physiologischen Bewegungsmuster der einzelnen Körperabschnitte im zentralen Nervensystem abgespeichert sind. Neben den Propriorezeptoren werden in der PNF-Behandlungen auch die Exterorezeptoren genutzt. Die Exterorezeptoren sind in Auge, Haut, Ohr und Gleichgewichtsorgan lokalisiert. Die Wirkung von PNF ist durch zahlreiche Studien nachgewiesen worden.
Spezielle therapeutische Ziele:
- Wiederherstellung des gesunden Bewegungsverhaltens
- Verbesserung von Geschicklichkeit und Koordination
- Steigerung der Kraft, Ausdauer und dynamischen Stabilität
- Förderung der Mobilität
- Förderung der motorischen Kontrolle
- Normalisierung der Muskelspannung
Grundgedanken
- Positiver Einstieg / Positive Einstellung
Der Patient soll eine positive Einstellung zur Behandlungssituation haben und motiviert sein. Dabei wird der Mensch als Ganzes gesehen, so dass nicht nur ein Körperteil behandelt wird. Vielmehr wird der Körperteil im Blick auf die Ganzheit in einem funktionellen Zusammenhang betrachtet. Begonnen wird mit dem besseren, kräftigeren und meist koordinierten Körperteil, wodurch Körperteile mit herabgesetzter Funktion indirekt beeinflusst werden. Hiermit wird dem Patienten gezeigt, dass er etwa Positives leisten kann, mit dem Ziel einer verbesserten Funktion.
Reserven mobilisieren
Gerade im zentralen Nervensystem befinden sich noch nicht ausgenutzte Potenziale. Im Zusammenhang mit PNF können diese entwickelt und aktiviert werden. Mit der Mobilisierung der psychischen und physischen Reserven sollen die motorischen Aktivitäten verbessert werden.
Primitive/einfache Bewegungen
Es werden primitive – im Sinne von einfache – Bewegungen wie nötig genutzt; vor allem die, welche dem normalen motorischen Bewegungsablauf entsprechen. Begonnen wird in Ausgangsstellungen sowie mit Bewegungen, welche Ihren motorischen Fähigkeiten und Ihrem Trainingsniveau entsprechen. Die motorische Entwicklung kann als Lernvorgang gesehen werden. Die Lernsequenz beinhaltet simple Bewegungen, z.B. Rollübungen oder Übungen aus der Bauchlage, z.B. mit Ellenbogenstütz. Differenziertere Bewegungen und Ausgangsstellungen sind z.B. Sitzen und der Positionswechsel in den Kniestand bis in den einseitigen Kniestand. Anfangs werden Bewegung und Stabilisation trainiert, später die Muskelkraft für eine verbesserte motorische Aktivität.
Irradiation
Irradiation steht für Verbreitung/Ausdehnung der ankommenden Reize, welche oft auch „Overflow“ genannt wird. Bei einer Muskelkontraktion, und vor allem einer statischen gegen adäquaten Widerstand, werden nicht nur die motorischen Vorderhornzellen des betroffenen Muskels von den sensorischen Einflüssen erreicht, sondern der Effekt wird diffus über das gesamte Rückenmark verteilt. Die Ausdehnung kann verlaufen:
- von Seite zu Seite
- von Kopf bis Fuß, von kaudal nach kranial und umgekehrt
- innerhalb ein und derselben Muskelkette.
Aus diesem Grund
- arbeitet man bilateral symmetrisch/asymmetrisch und bilateral symmetrisch/asymmetrisch reziprok
- arbeitet man mit Muskeln, welche synergetisch agieren (Muskelketten)
- lässt man schwache Muskeln mit kräftigeren arbeiten.
Die schwache Muskulatur in einer Muskelkette kann lediglich aktiviert werden, wenn die kräftigere Muskulatur maximal aktiviert wird. Dabei muss die Kontraktion des kräftigeren Muskels optimal sein, um die schwächere Arbeit erbringen zu können. Irradiation kann vorzugsweise auch bei Patienten mit Schmerzen eingesetzt werden. Das Konzept der Schmerzbehandlung besteht darin, weit weg vom Schmerz zu beginnen und über eine Aktivierung der Muskulatur die Spannung herabzusetzen.
- Funktionelles Training gegen Widerstand
Wesentlich ist, das Training funktionell, d.h. auf Ihre Alltagssituation anzupassen. Widerstand wird einerseits für die Bahnung der Bewegung genutzt und andererseits um Ihnen durch die gegebenen Stimuli Erleichterung zu verschaffen. Ziel ist es, Ihre Selbständigkeit zu verbessern und zu steigern durch:
- besseres Gleichgewicht
- bessere Koordination
- bessere Muskelkraft
- größere Beweglichkeit
- bessere Wahrnehmung der Bewegungen
Hierdurch kann etwa erreicht werden, dass Betroffene selbst aus dem Bett steigen können. Bei nahezu allen Aktivitäten wird zunehmender, immer kräftiger werdender Widerstand gegeben. Dieser kann aber auch abnehmen, d.h. geringer werden um die Kontrolle der Bewegungen zu fördern. Teil des funktionellen Trainings sind diverse Bewegungen und Ausgangsstellungen auf der Matte, sowohl dynamisch wie auch statisch. Die Bewegungsübergänge aus der Rücken- bzw. Bauchlage bis zum Gang und Stand in Anlehnung an die normale motorische Entwicklung werden gegen optimalen/angepassten Widerstand ausgeführt. Widerstandsübungen werden auch beim individuellen manuellen Training auf der Bank zur Vorbereitung und Unterstützung auf das Funktionstraining genutzt. Das intensive Training über mehrere Stunden beinhaltet etwa abwechselnde Übungen im Gehbarren, auf der Matte oder auf der Bank, um nur einige zu nennen.
Zusatztechniken
Folgende Zusätze dienen der Förderung der Bewegung mittels Entspannung, Kräftigung, Inhibition sowie Fazilitation von Muskelgruppen. Es kommen hierbei statische, exzentrische sowie konzentrische Muskelkontraktionen zum Einsatz.
- Kombination isotonischer Bewegungen
- Hold Relax : Isometrie
- Rhythmische Bewegungseinleitung
- Stretchimpuls
- Anspannen-Entspannen
- Stabilisierende Umkehr
- Agonistische Umkehr
- Rhythmische Stabilisation
- Verlängertes Halten
- Wiederherstellung/Realisation
- Timing zur Betonung
- Wiederholende Kontraktion
Indikationen und Kontraindikationen
PNF hilft Menschen mit Störungen des Stütz- und Bewegungsapparates, sich schmerzfrei, selbständig sowie sicher zu bewegen. Angewandt wird eine Behandlung nach PNF etwa aufgrund von:
- Sportunfällen
- Gelenkoperationen, bspw. am Knie oder an der Hüfte
- Schlaganfall
- Schädel-Hirn-Trauma
- Querschnittslähmung
- M. Parkinson
- Multipler Sklerose
- Rückenmarkserkrankungen
- degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule
Nicht angewandt werden darf PNF dagegen bei:
- schweren Herz-/ Kreislauferkrankungen
- Tumoren mit Fieber und Metastasenbildung
- Akuten Infektionen im Behandlungsbereich